Alles gleich – nur anders

Hajo Nägele ist seit 2013 bei der Birkacher Feuerwehr. Seit 2018 hat er seinen Erstwohnsitz in die Schweiz verlegt und ist 2019 dort in die Feuerwehr Wädenswil im Kanton Zürich eingetreten. Das Aufgabenspektrum der Feuerwehr ist in der Schweiz und in Deutschland grundsätzlich gleich. Doch obwohl das Feuer gleich brennt, ist die Feuerwehr sehr unterschiedlich aufgestellt. Einige wesentliche Aspekte haben wir in einem kleinen Interview zusammengefasst.
Das Interview mit Hajo Nägele wurde von Dominik Bender geführt.

Lieber Hajo, bitte beschreibe Deine Abteilung Wädenswil mit ein paar Zahlen

130 Feuerwehrfrauen und -männer
15 Fahrzeuge
Einsatzgebiet ca. 3.500 Hektar und 24.000 Einwohner in den Ortsteilen Dorf, Au, Hütten und Schönenberg. Speziell ist in Wädenswil, dass durch die Eingemeindung der Ortsteile Schönenberg und Hütten drei statt des üblichen einen TLF der Feuerwehr zur Verfügung stehen.
110 bis 230 Einsätze pro Jahr
Feuerwehr Wädenswil (feuerwehr-waedenswil.ch)

Wie ist das Feuerwehrwesen in der Schweiz aufgestellt?

Träger der Feuerwehr im Kanton Zürich ist die GVZ (Gebäudeversicherung Kanton Zürich). Die GVZ ist von Gesetzes wegen zuständig für die strategische Führung und Aufsicht, die Alarmierung, die Ausbildung und die Ausrüstung der Feuerwehren im Kanton Zürich. Die Kosten der Feuerwehr wird von der Versicherung getragen (Ausbildung 100% / Ausrüstung 50%). Alle Feuerwehren sind sehr ähnlich ausgestattet und bestellen ihre Ausrüstung (hauptsächlich) aus einem Katalog der GVZ. Die deutsche „Technikverliebheit“ bis in jedes Detail des Fahrzeuges ist hier bei weitem nicht so ausgeprägt.
GVZ – Hauptnavigation – Feuerwehr

Bei größeren Einsätzen überprüft ein Inspektor der Versicherung die Maßnahmen der Feuerwehr und unterstützt. Wenn die Leistung oder Einsatztaktik der Feuerwehr nicht den Anforderungen genügt, werden Nachschulungen durchgeführt.

Bei der Feuerwehr Wädenswil kann man immer zum Jahresbeginn in die Feuerwehr eintreten. Ausbildungen von Feuerwehren außerhalb des Kantons werden nicht anerkannt. Die Ausbildung beginnt im Januar. Nach drei Monaten Übungsdienst wird an Einsätzen teilgenommen. Mit 55 Jahren geht ein Feuerwehrmann bereits in Rente.

Je Übungsdienst gibt es eine Entschädigung von 35 CHF. Die erste Einsatzstunde wird mit 60 CHF und jede weitere mit 45 CHF ergütet.

In einer zentralen Software kann jeder Feuerwehrangehörige im Kanton seine Daten, Übungsdienste und Aufwandsentschädigung jederzeit einsehen.

Die Notrufnummer für Feuerwehr und Rettungsdienst ist in der Schweiz die 118 und die 117. Die europaweit einheitliche Notrufnummer 112 landet in der Schweiz bei der Polizei.

Wie läuft die Ausbildung ab?

Die Ausbildung ist sehr praxisorientiert. Ein wichtiges Thema Atemschutz. Deshalb wird im Regelfall bereits im ersten Übungsdienst praktisch mit Atemschutz geübt. Leitern sind auch ein zentrales Thema und werden intensiv praktisch beübt. Jeder Übungsdienst hat ein Übungsziel, das am Ende der Übung überprüft wird. Jeder Feuerwehrangehörige ist in Wädenswil zwei Jahre lang in einem Ausbildungszug. Danach wechselt er in den regulären Zug. Der starke Focus auf die Praxis ist ein grosser Unterschied zum deutschen System. Das theoretische Wissen, welches in Deutschland viel vermittelt wird, spielt hier kaum eine Rolle. Wichtig ist, dass die Technik richtig angewendet wird. Dadurch spart man wertvolle Ausbildungzeit und die erzielten Ergebnissse im Einsatz sind keinesfalls schlechter.

In der Ausbildungszeit von zwei Jahren wird zwei mal in Übungsgelände mit Rauch (Vergleichbar mit einer ASÜA) und zwei mal in einem Übungsgelände mit Feuer geübt. Nach den zwei Jahren Ausbildungszeit gibt es einen Block mit drei Tagen Vollzeit auf dem Übungsgelände der GVZ (AZA) in Adelfingen. In unterschiedlichen Übungsgebäuden werden verschiedene Szenarien mit Feuer und Rauch dargestellt (Kellerbrände, Küchenbrände, Tiefgaragenbrände und vor allem auch Kleinbrände). Je Person werden pro Tag bis zu 10 Mal die Atemschutzflaschen gewechselt. Je Team mit 8 Feuerwehrangehörigen sind zwei Trainer zugeordnet. Auch die drei Tage auf dem Übungsgelände werden ausschließlich mit praktischen Übungen gefüllt. In den drei Tagen gibt es nur 2x 45 min Theorie (1x Energieversorger, 1x Polizei). Für deutsche Feuerwehrangehörige verwirrend – im Ausbildungszentrum übt man mit Rollwagen TLF statt wie in Deutschland üblich mit grossen Fahrzeugen. Auf den Rollwagen ist alles verlastet was man für einen Erstangriff benötigt. Von der Atemschutzüberwachung über Schläuche, Verteiler bis zur Hygienebox. Zusätzliche Geräte stehen an den verschiedenen Positionen bereit (z.B. Lüfter). Ein toller Effekt – der Rollwagen reicht völlig aus und das spart darüber hinaus noch Ressourcen und Zeit.

Nach zwei Jahren Ausbildung am Standort und den drei Tagen Abschlusslehrgang ist man ein fertiger Feuerwehrmann. Die Ausbildung beinhaltet Atemschutz, Sprechfunk, Erste Hilfe, Truppmann, Truppführer. Im Vergleich zum deutschen System ist der Aufwand geringer aber die Qualität der Einsatzkräfte auf einem sehr hohen Niveau.

Wie ist die Einsatztaktik der Schweizer Feuerwehr?

Die Alarmierung erfolgt per Smartphone inklusive Link zu einem Kartenausschnitt der Einsatzadresse und per Pager. Wie in Deutschland führt der Weg zum Einsatzort über das Gerätehaus (Depot). Die Offizieren wechseln sich bei sogenannten Pickett (Bereitschaftdienst) ab. Somit ist gewährleistet, dass immer eine Führungskraft vor Ort ist. Viele Anfragen oder Einsätze werden auch telefonisch mit der Einsatzleitzentrale innerhalb der Offiziere besprochen und erst im Bedarfsfall bzw. nach Erkundung Alarm ausgelöst. Das spart ein wertvolle Ressourcen durch unnötige Alarme.

Zu einem Wohnungsbrand fahren in Wädenswil beispielsweise TLF (Tanklöschfahrzeug), ADL (Automatikdrehleiter = DLK) und PIF (Pionierfahrzeug, entspricht einem Rüstwagen). Das TLF ist das zentrale Fahrzeug. Es hat 3.000 Liter Wasser und ist mit 9 FM besetzt. Auf jeder Seite des TLF gibt es einen Hochdruck-Schnellangriff Wasser mit 100 Meter formstabilem Schlauch, mit dem im ersten Angriff gearbeitet wird. Der Einsatzleiter fährt mit dem ersten TLF. Nur die Funktionen Offizier, Maschinist und Angriffstrupp sind definiert. Alle übrigen Kräfte von allen Fahrzeugen stehen an einem Sammelplatz bereit und bekommen truppweise einen Auftrag vom Offizier. Weitere Kräfte werden mit kleineren Fahrzeugen (Personentransportfahrzeug (PTF)) oder PTF-San (beides MTW) der Einsatzstelle zugeführt). Es können Einsatzabschnitte (Verantwortungsbereich = VB) eingesetzt werden. Z.B. ein VB Innen oder VB Wasserversorgung. Im Einsatz führt grundsätzlich ein Offizier die Mannschaft im Gebäude an.

Im Innenangriff wird bei Hohlstrahlrohren grundsätzlich nur mit 60 L/min Durchflussmenge gearbeitet und mit Vollstrahl gelöscht. So wird das Wasser effizient eingesetzt und der Wasserschaden gering gehalten.Es gibt keine weitere Führungsstruktur und keine KdoWs oder ELWs. Ein weiterer Unterschied ist, dass es auf den Fahrzeugen keinen Schaum gibt. Bei Bedarf wird ein Fahrzeug (ULF) der Stützpunktwehr nachgefordert.

Gibt es weitere Unterschiede?

An der Einsatzstelle wird immer das Blaulicht ausgeschaltet und die Fahrzeuge mit Warnblinker abgestellt. Die Feuerwehr übernimmt an Einsatzstellen auch die Verkehrsregelung. Der Einsatzleiter trägt einen roten Helm und alle Offiziere eine gelbe Jacke. Funktionswesten wie in Deutschland Standard findet man nicht. Die Fahrzeuge sind im Kanton Zürich lemongelb mit einem umlaufenden roten Streifen. Atemschutzgeräte werden nach Übungen und Einsätzen auf der Wache gereinigt und sind im Anschluss wieder sofort einsatzbereit. Tragbare Leitern sind in der Schweiz im Regelfall aus Holz oder neuere auch aus Carbon. Aluleitern werden nur als Steckleiter verwendet und im Alltag vergleichsweise wenig eingesetzt. Im Funkverkehr heisst es statt kommen – „antworten“ und statt Ende – „Schluss“.

Eine Jugendfeuerwehr gibt es nur je Bezirk und nicht je Abteilung. Wädenswil gehört zum Bezirk Horgen. Die Jugendfeuerwehr übt wechselnd in den verschiedenen Orten der des Bezirks. JFW Bezirk Horgen – Jugendfeuerwehr des Bezirkes Horgen (jfw-bezirk-horgen.ch)

Nachwuchssorgen muss sich die Feuerwehr aber dennoch nicht machen. Jährlich gibt es zahlreiche neue Interessenten.

Was vermisst Du in der Schweiz?

Pressluft auf der Einsatzfahrt und Blaulicht an der Einsatzstelle 🙂 & den Leberkäs beim gemütlichen Zusammensein nach der Übung.

Was können deutsche Feuerwehren von den Schweizer Kameraden lernen?

Praxisorientierte „Hands-on“ Ausbildung und eine wirklich ausgeklügelte Didaktik. Fokus auf die Basics, Pragmatismus und das man auch mit nur einem TLF schon ganz viel Feuer löschen kann.

Was können Schweizer Feuerwehren von den deutschen Kameraden lernen?

Bei grösseren Einsätzen vermisse ich die deutsche Führungsstruktur bei der klar ist welche Führungskraft welche Rolle hat.